Pressemitteilung der Antidiskriminierungsberatungsstelle amira zu dem EuGH-Urteil zu muslimischem Kopftuch in Unternehmen.

Hamburg, 15.07.2021

Pressemitteilung                                                                                         

Urteil des EuGH zu muslimischem Kopftuch in Unternehmen gefällt: Religiöse Zeichen können unter Umständen verboten werden – aber nicht ohne schwerwiegenden Grund!

Antidiskriminierungsberatung amira unterstützt Klägerin aus Hamburg

 

Zum Hintergrund:

Anfang 2018 wandte sich die Klägerin Frau O. an die Antidiskriminierungsberatung amira. Sie plante, nach der Elternzeit mit Kopftuch an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren und bekam Hinweise, dass dies nicht gewünscht ist. Frau O. ließ sich über Ihre Rechte aufklären, mit Unterstützung der Beratungsstelle wollte sie im Dialog mit dem Arbeitgeber nach einer Lösung suchen. Doch der Arbeitgeber hatte während ihrer Elternzeit schriftlich verkündet, dass zu Gunsten der Neutralität alle religiösen und weltanschaulichen Symbole in der pädagogischen Arbeit verboten seien und wich hiervon nicht ab. Als Frau O. Mit Kopftuch zur Arbeit erschien wurde sie abmahnt und gekündigt. Frau O. Blieb nur der Weg der Klage, um an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Denn hinnehmen wollte sie nicht, dass ihr als qualifizierte Heilerzieherin ein Arbeitsplatz verwehrt wird, den sie geschätzt und an dem sehr zufrieden gearbeitet hatte.

“Ich habe vorher gute Arbeit gemacht und mache mit Kopftuch die gleiche gute Arbeit. Ich bin ja der gleiche Mensch, ich war auch in den Jahren davor schon Muslima. Das Kopftuch ist meine persönliche Entscheidung und beeinflusst meine Arbeit nicht.”

 

Zum Urteil:

Drei Jahre später ist heute das Urteil des Europäischen Gerichtshof gefallen. Die Klärung der Frage, ob eine private Kita mit einer Neutralitätsregelung das Kopftuch am Arbeitsplatz verbieten darf und ob es sich hier um Diskriminierung handelt, war vom Hamburger Arbeitsgericht zur Klärung dorthin verwiesen worden. Hiermit wird sich das Arbeitsgericht Hamburg nun wieder befassen. Denn der EuGH stellt zwar fest, dass Arbeitgeber*innen unter eng begrenzten Umständen das Kopftuch verbieten können und es sich nicht um direkte Diskriminierung handelt, sofern gleichzeitig auch alle Zeichen aller anderen Religionsgemeinschaften verboten werden. Durchaus kann es aber als mittelbare Diskriminierung eingeordnet werden, die Abwägung zwischen dem Recht auf Religionsfreiheit und der Unternehmensfreiheit muss nach nationalen Schutzstandards vorgenommen werden. Im konkreten Fall heisst das nach Auffassung der Beratungsstelle: der Arbeitgeber darf das Kopftuch nur verbieten, wenn eine konkrete Gefährdung nachgewiesen werden kann, die von einer Mitarbeiterin mit Kopftuch ausgeht.

 

Für Frau O. geht das Warten damit weiter und sie hofft nach wie vor auf eine Klarstellung.

 

“Mir ist wichtig, dass geklärt wird, dass Diversität nicht nur auf Flyern stehen darf, sondern gelebt werden muss. Dazu gehören Menschen, die wie ich ein Kopftuch tragen. Ich möchte zeigen, dass wir dazu gehören und es Diskriminierung ist, wenn Frauen mit Kopftuch als Reinigungspersonal oder in der Küche arbeiten dürfen, als Erzieherin aber nicht. Was ist das auch für ein Bild, das da vermittelt wird. Vielfalt ist das nicht.”

 

Die Beratungsstelle amira von basis & woge e.V. wird die Klägerin weiterhin unterstützen und, sieht mit Spannung auf die weiteren Verhandlungen.

 

“Aus der Beratungsarbeit wissen wir, dass viele Frauen aufgrund des Kopftuchs diskriminiert werden und das besonders durch Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt. Diese Realität kommt aber selten in den Gerichten an, auch weil es Betroffenen häufig an Unterstützung durch Beratungsstellen und Anwält*innen fehlt. Es gibt Rechtsunsicherheit, die bei Betroffenen den Eindruck bestärkt, sich nicht wehren zu können. Die Erfahrung von Frau O. steht deswegen für viele andere. Wir werten das Urteil als Signal, dass Neutralitätsregeln auch in privaten Unternehmen nicht als de facto Kopftuchverbot eingesetzt werden dürfen. Der Fall von Frau O. zeigt, wie aufwändig, aber auch wie wichtig rechtliche Klärung ist, damit Organisationen und Unternehmen ihr Handeln bewerten und Diskriminierungsschutz besser umsetzen können.

Betroffene brauchen für die Durchsetzung ihrer grundlegenden Rechte Kraft und einen langen Atem – die Unterstützung durch Beratungsstellen und Communities spielt dabei auch eine wichtige Rolle.”

 

Auch für Frau O. geht es nicht nur darum, eine Klage zu gewinnen und zu ihrem Recht zu kommen, sondern ein Zeichen zu setzen.

 

“Ich will zeigen, welche Auswirkungen diese Verbote haben und dass sie nicht gerecht sind. Gute pädagogische Arbeit sollte am Handeln bewertet werden und nicht am Aussehen.

Muslimische Frauen mit Kopftuch sollen die gleichen Chancen in der Arbeit haben, wie andere. Die Kinder kommen aus ganz unterschiedlichen Familien und Religionen. Warum sollten sie das nicht auch bei den Erzieherinnen wiederfinden?”

 

Kontakt zur Beratungsstelle und Klägerin bis Freitag 16.7. und ab 2.8.: Birte Weiß, 0176-72843655

HIER die original Pressemitteilung

advd