“Ich habe nicht nur für mich, sondern für alle gekämpft, die Diskriminierung erleben!” (vom 02.03.21)

DasHamburger Amtsgericht St. Georg gab heuteder Klage einer jungen Muslima statt und verurteilte das beklagte Fitnessstudio zu einer Entschädigungin Höhe von 1000 Euro. Das Gericht stellte hiermit klar, dass behauptete allgemeine Sicherheitsrisiken als sachliche Begründung für den Ausschluss von Personen mit religiöser Kopfbedeckung nicht genügen.Frau H. war im Februar2020 für ein Probetraining in der Winterhuder Filiale des Fitnessstudios benefit(Bene System GmbH)erschienen. Ihr war auch schriftlich zurückgemeldet worden, Kopftücher würden aus Sicherheitsgründen verboten und sie solle dies akzeptieren, es handele sich dabei nicht um Rassismus.Frau H. entschied sich diese Erfahrung nicht hinzunehmen und wandte sich an die Antidiskriminierungsberatungsstelleamira. Gerade auch weil das Fitnessstudio nichtdialogbereit war, klagtesie. “Ich möchte allen,die Diskriminierung aufgrund des Kopftuches oder jeglicher anderer Diskriminierung ausgesetzt sind,Mut geben.Sich zu wehren, lohnt sich und Betroffenen sollte Gehörgeschenkt werden!Sie müssen sich dasnichtgefallen lassen.Ein Zeichen setzen möchte ich auch denjenigen gegenüber, die solche Diskriminierungen verantworten und ihnen zeigen, dass sie nicht einfach damit durchkommen.”Mehrfachdiskriminierungen, die beispielsweise an Geschlecht und Religion anknüpfen,sind im Dienstleistungsbereich nicht selten. “Wir kennen eine Vielzahlsolcher Fälle.Diese Alltagserfahrungen habenweitreichende und belastende Folgen für die Betroffenen. Menschen erleben sie nicht nur in Fitnessstudios, sondern auch an Arbeitsplätzen, in Behörden, der Öffentlichkeitoderim Gesundheitssystem. Das beklagte Fitnessstudio ist dabei mehrfach durch diskriminierende Praxen insbesondere gegenüber Frauen mit Kopftuch und migrantisierten Männern aufgefallen, denen ebenfalls mit vorgeschobenen Gründen der Zutritt verwehrt wurde. Diskriminierungbleibt oft unerkannt und unsichtbar, weswegen dieAnerkennung der Rechtsverletzung für Betroffene von hoher Bedeutungist”, so Beraterin Eliza-Maimouna Sarr.Das Argument der Beklagten Frau H. hätte einanderes Fitnessstudio wählen können, ist unerheblich, weil dieVerweigerungverfassungsrechtlich geschützter Grundfreiheiten Betroffenen ein Signal sendet, sie gehörten nicht dazu. “Aber wir sind auch deutsch. Ich bin auch Teil dieser Gesellschaft, sie ist auch mein und unser Zuhause.Es ist anstrengend das immer wieder beweisen zu müssen” entgegnet Frau H.Die Behauptung der Gegenseite,es würde aufgrund des Kopftuches zu Geruchsbelästigungen der anderen Kund:innen kommen, erscheinthiergeradezu absurd, verletzte Frau H. aber besonders.Auch für ein Fitnessstudio reicht es eben nicht, Vielfalt der Kund:innen auf Fotos abzubilden. Die Betreibendemüssensich fragen, welche internen Abläufe und Regularien Menschen ungleichen Zugang ge-oder sogar verwehren, denn das AGG soll ausdrücklich präventiv wirken und verbietet auch unbeabsichtigte Benachteiligungen, die in ihrer Wirkung diskriminierend sind.Durch ihre Kraft,ihren Mutund langen Atemhat die Klägerin nun Fitnessstudios die Chance geboten, die eigene Praxis zu reflektieren. “Antimuslimischer Rassismus,gerade auch aufgrund des Kopftuches passiert so oft und alltäglich, dass ich mich nicht immer wehren kann, umso wichtiger ist es daher für mich, dass ich jetzt damit Erfolg haben konnte! Mein Ziel heißt Veränderung. Mit dem Urteil ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung gemacht, auch wenn dieser für mich persönlich sogar ein großer war.”Sebastian Buschvertrat die Klägerin undergänzt: „Der Anbieter hatte versucht, sich auf die unternehmerische Freiheit zu berufen undhiermit ein Verbot aller Kopfbedeckungen zu rechtfertigen. Das Gericht hat zutreffend erkannt, dass dies so einfach nicht möglich ist, da Personen, die,wie etwa einige muslimische oderjüdische Menschen und Sikhs,ihre Kopfbedeckungen aus religiösen Gründen nicht abnehmen können, hiervon ganz anders betroffen sind als jeder beliebige Kappenträger. Es geht hier um Eingriffe in die Religionsfreiheit sowie um mittelbare Benachteiligungen aufgrund der Religion, die nur dann rechtmäßig sein können, wenn das Verbot auch tatsächlich notwendig ist.”Frau H. hofft, dass ihr Einsatz sich auch über den konkreten Einzelfall hinaus lohnt. “Es ist ständig das Erste worauf ich angesprochen und reduziert werde. Aber ich habe eine Persönlichkeit und mein Kopftuch ist mit meiner Persönlichkeit nicht gleichzusetzen, auch wenn es ein sehr bedeutsamer Teil von mir und meiner Persönlichkeit ist. Je normalisierter solche Diskriminierungen werden, desto gefährlicher werden sie für die gesamte Gesellschaft. Ich denke der rassistische Anschlag von Hanau ist dafür auchein, aber eben nur ein Beispiel. Ich frage mich: Was muss eigentlich noch passieren, damit mal gemerkt wird, dass es ein Problem gibt? Muss dafür immer erst jemand sterben? Mir scheint, dass es selbst dann nicht reicht. Deswegen werde ich weiter Zeichen setzen, wo ich kann.”Rückfragengernean:Eliza-Maimouna Sarr, amira(basis & woge e.V.), 040 –39842649

advd